– Journalisten und ihre Rolle im Skandal

Natascha Rother

Skandale gelten seit jeher als wichtiges Korrektiv innerhalb demokratischer Gesellschaften. Indem sie auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen und Verstöße gegen zentrale Werte und Normen öffentlich brandmarken, bekräftigen sie das bestehende Wertgefüge und leisten einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aus den genannten Gründen zählt die Aufdeckung und Thematisierung von Missständen auch zu den grundlegenden gesellschaftlichen Funktionen der Medien und wird von den Journalisten selbst auch als eine ihrer zentralen Aufgaben angesehen. Trotz der positiven Funktion von Skandalen für die Gesellschaft kritisieren Sozialwissenschaftler den verstärkten Einsatz von Skandalisierungen als Mittel im massenmedialen Aufmerksamkeitswettbewerb sowie beobachtbare Personalisierungs- und Boulevardisierungstendenzen der Berichterstattung, die langfristig zu gegenteiligen Effekten in der Bevölkerung, wie einem Überdruss an Skandalen, Abstumpfungseffekten und gesellschaftlicher Instabilität führen können.

Belastbare empirische Ergebnisse zu den Ursachen und Motiven journalistischen Handelns in Skandalfällen gibt es bislang kaum. Um einseitigen Schuldzuweisungen in den oftmals aufgeheizten Diskussionen um Skandalfälle entgegenzuwirken, war es Ziel meines Dissertationsprojektes, sowohl internen Handlungsmotive der Journalisten als auch externe Rahmenbedingungen mithilfe eines integrativen kommunikationswissenschaftlichen Ansatzes zu untersuchen. Aufbauend auf einem strukturell-individualistischen Modell habe ich 32 leitfadengestützte Experteninterviews mit Journalisten verschiedener Mediengattungen und Ressorts in leitender Position durchgeführt, die Aufschluss über das Verantwortungsbewusstsein, Ziele und Motive für die Thematisierung von Missständen und Skandalen sowie Konflikte zwischen gesellschaftlicher Verantwortung, ökonomischen Imperativen und ethischen Prinzipien geben. Durch die Integration der Erkenntnisse der Skandalforschung und der Ergebnisse der computergestützten qualitativen Inhaltsanalyse der Experteninterviews wird deutlich, wie unterschiedliche interne und externe Bedingungen die Handlungsentscheidung von Journalisten in Skandalsituationen beeinflussen und wie Einzelhandlungen verschiedener Akteure in ihrer Aggregation zu unerwünschten gesellschaftlichen Folgeeffekten führen können. Die Ergebnisse der Arbeit sollen zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen und negativen Folgeeffekten zunehmender medialer Skandalisierung durch eine Sensibilisierung der Akteure entgegenwirken.